Tour zum Colle della Croce  | © DAV Sektion Altdorf - Jan Kürschner

WestAlpenX

Aosta

21.07.2022

Die sonst eher in heimischen Gefilden aktive Bergradgruppe bietet als Tapetenwechsel auch Alpentouren incl. einer jährlichen extremen WestalpenTour an.
Diesmal war die norditalienische Provinz Aosta dran, ein einsamer Flecken zwischen den 4000ern von Mt. Blanc, Monte Rosa und Gran Paradiso.

Dort finden sich im kaum erschlossenen Hochgebirge zahlreiche Ex-Militäpisten aus dem Grande Guerra wie die Einheimischen den 1. Weltkrieg nennen. Diese bieten bergerfahrenen Mountainbikern fahrbare Zugänge zu hohen Pässen und Gipfeln bis über die 3000 m Marke, wobei ganz oben mit Steigung und Witterungseinflüssen auch die Tragepassagen zunehmen. Um von dort noch passable Abfahrten zu finden, braucht es Kartenkunde und Web-Erfahrungsberichte, um die Mountainbikes noch artgerecht bewegen zu können.
Geplant und organisiert wurde die Tour wie immer gemeinschaftlich und damit an die Vorlieben und Fähigkeiten der Teilnehmenden angepasst.

Mit Blick auf den CO2-Fussabdruck wurde eine Dauer von einer Woche in einfachen Unterkünften und die Anreise mit einem Auto für 5 Teilnehmer incl. MTBs gewählt. Leider ließ sich das diesmal krankheits-, termin- und belegungsbedingt nicht ganz umsetzen.
Am ersten Tag wurden gleich 2 Touren von la Thuile (1400m) aus angegangen, einem noch recht ursprünglichen kleinen Skifahrerdorf. Erst Einrollen auf Asphalt, dann grüßend an Wandertouristen vorbei und schließlich völlig einsam auf glatten Singletrails zum Colle della Croce (2400m). Der Blick ging zum nahen und wolkenlosen Mt. Blanc – mit überragender doppelter Höhe. Dass der Trail abwärts durch Felsen und Bergwald fahrbar ist, konnte man sich am Vorabend beim Blick nach oben kaum vorstellen. Aber tapfere Wegebauer legten und pflegten Serpentinenwege und die Dämpfer der Fullies bügeln die verbliebenen Steine und Stufen weitgehend weg –unfahrbare Stellen wurden rechtzeitig erkannt und nach hinten(!) abgestiegen.
Nach dieser Vormittags-Traumtour gab es in La Thuile Vesper bzw. Espresso. Inzwischen waren die Temperaturen weit über die 30°-Marke gestiegen und die verbleibenden 1200 Hm auf einsamen und endlosen Hochgebirgspisten wurden zur Hitzeschlacht. Da nicht alle voll gesund waren, übernahmen die Kameraden dessen Rucksack und so kamen alle radelnd am Col de Chavannes auf 2600m an und konnten sich über das Val Veny hinweg an der Mt. Blanc – Kette mit seinen zahlreichen geschrumpften Gletschern sattsehen.
Nach kurzem, aber knackigem Hochgebirgstrail, gab es dann endlich Erfrischung in den Gletscherabflüssen und später auf der Sonnenterasse der malerisch gelegenen Elisabtetta-Hütte.

Die Nacht im dreistöckigen Matratzenlager war allerdings weniger malerisch, sondern unruhig und kurz, und der anschließende Frühstücks-Zwieback zum Tässchen Pulverkaffee war nur eine schwache Starthilfe für den längsten Tourentag. Der führte über eine Tragepassage zum Balkon de Veny und weiter auf nebelbedingt einsamen Trails zum Skigebiet Courmayeur und weiter bis ins Aosta-Tal (700m) , bevor es dann über den kleinen Mt. Blanc (2200m) zum nächsten Quartier im Valsaverenche ging. Zuvor offenbarte eine wackelnde Schwingenachse, dass auch robuste MTB-Technik an Grenzen kommen kann. Glücklicherweise fand sich in Aosta eine Bike-Werkstatt, die das kompetent, kostengünstig und innerhalb eines Tages austauschen konnte.
Das Abendessen füllte die Depots wieder vollständig und am nächsten Tag konnte gemeinsam mit dem Col Lauson der höchste fahrbare Pass der Alpen mit knapp 3300m bei Traumwetter angegangen werden.
Dass fahrbar nicht auch überall-fahrbar bedeutet, zeigte sich bereits auf den ersten Metern, wo nasse Felsblöcke die Radler zu Wanderern machte. Die folgenden Serpentinen im Wald waren unschwierig, aber nur unter Einsatz (endlicher) Kraftreserven fahrbar, was nicht alle bei dem 1700 Höhenmeter-Trailanstieg riskieren wollten. Nach dem Waldbereich markierte eine verlassene Alm mit Wasserstelle den Beginn eines gut fahrbaren Hochtals mit anschließenden Aufschwüngen über unzählige flache Serpentinen im Hochgebirgsgelände. Traumhafte Ausblicke auf die nahen Gletscher im französischen Grenzgebiet wechselten mit sorgenvollen Blicken nach oben auf der Suche nach einer Scharte im steil aufragendem Blockgestein zwischen dem Kamm über Herbetet zum Gran Paradiso (4061m) und links zum nur minder niedrigen Grivola. Ein kaum sichtbarer Steilpfad beendete die Fahrpassage und deshalb wurden die MTBs auf den letzten 300 Hm entweder in der Tragehilfe eingehängt oder im „Gamstragegriff“ auf den Rucksäcken geschultert.
 

Der Col Lauson war diesmal nach einem schneearmen Winter komplett schneefrei und der schmale Trail schlängelte sich gut sichtbar abwärts durch teilweise seilversicherte Felsabstürze und Geröllfelder. Unzählige Serpentinen wechselten mit flott fahrbaren Pfaden bis im Almgelände vom Rigugio Vittorio Sella, wo bei Cappuccino endlich wieder die Sitzposition eingenommen und durchgeatmet werden konnte.  
Erholung war sowohl mental als auch physisch nötig, da weitere 1000 Hm auf immer wieder verblockten Wegen mit Folgen von hohen Felsstufen und senkrecht als Wasserableiter aufgestellten Granitplatten in Kettenblatthöhe zu meistern waren: fortwährend individuelle Fahrsituationen, die im Fahren entschieden und ggf. abgebrochen werden mussten – ein Sturz war in dem Gelände keine Option.
In Valnontey war der Ritt geschafft, eine einfache Schotterpiste führte nach Cogne. Dort wurden nach Check-In und Duschbad dann bei regionalem Vino und Pizza die unzähligen Eindrücke und Situationen ausgetauscht. Anschließend klang der Abend unerwartet lebhaft bei live-Musik vor Gletscherkulisse lange nicht aus.

Ein arg ausgeschlagenes Tretlager verschaffte einem weiteren Teilnehmer einen Ruhetag in Aosta mit Besuch der bewährten Bike-Werkstatt. Die anderen schraubten sich auf den Passo Invergneux auf 2900 m, badeten ganz hoch oben in Drachenblut (=eiskalter Bergsee) und glitten, so unbesiegbar geworden, die 1500 Hm epischen glatten Trails Richtung Cogne und nach einer Eis-Pause weiter runter nach Aosta.
Am letzten Tag gings noch auf den nahen Zumba-Trail und nur eine Reparatur-Improvisation eines abgerissenen Schaltwerks verhinderte das Dauer-Abo in der Bike-Werkstatt.
Randvoll mit Eindrücken und Erlebnissen ging es auf die lange Rückreise mit dem festen Vorsatz nach neuen Abenteuern im nächsten Jahr.
Bis dahin bietet die Bergradgruppe der DAV-Sektion Altdorf einfache bis anspruchsvolle Ausfahrten im Altdorfer Land und Alpengebiet mit Fokus auf gemeinsamen Erlebnissen und Freundschaften.

Foto und Text: Jan Kürschner